Kernelemente des klassischen Tantra

Als Kult bzw. Teilrichtung des Hinduismus und Buddhismus stimmt Tantra in der Theorie z.B. bezüglich der Götter mit der jeweiligen umgebenden Weltanschauung überein (z.B. als buddhistisches Tantra in Tibet). Auch die meisten ethischen Vorstellungen sind aus dem Buddhismus bzw. Hinduismus übernommen. Nur wenige, allerdings nicht unwichtige Details, unterscheiden sich vom Mainstream. Daher kann Tantra auch für Christen und Muslime adaptiert werden (allerdings nur, wenn Gott  weniger strafende und eifersüchtige Eigenschaften hat, als im Mainstream die Vorstellung ist).

Tantra ist eher praktisch orientiert, d.h. die Praxis wird eher auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der persönliche spirituelle Entwicklung geprüft als auf Übereinstimmung mit althergebrachten Lehren. Dabei verwenden einige Lehrer sehr unkonventionelle, auf die persönliche Situation der spirituellen Entwicklung einzelner Schüler zugeschnittene Übungen.

Das besondere am tantrischen Weg ist, dass Sinnesfreude, Begierde und auch gelebte Sexualität als etwas angesehen werden, was – geschickt eingesetzt – den spirituellen Prozess erleichtern und beschleunigen kann. Im Gegensatz dazu sind die meisten traditionellen Lehren des Ostens und des Westens der Ansicht, dass Sex, Erotik und Lust für die Bewusstseinsentwicklung schädlich sind.

Die meisten kennen die starken emotionalen Kräfte rund um das Thema Liebe und Sexualtität. Diese Kräfte sind ein starker Motor für vieles was wir machen, aber diese Kräfte werfen auch viele Menschen „aus ihrer Bahn“.

Tantra kann als spirituelles Fahrzeug bezeichnet werden, welches zu fahren gefährlich ist und viel Mut, Kraft und Geschicklichkeit verlangt. Um diese Fähigkeiten zu erlangen braucht es Disziplin und praktische Übung.

Tantra sieht eine Einheit des Individuums mit dem Kosmos und dem höchsten Sein. Das Göttliche ist in jedem Einzelnen zu sehen. Im Körper ist das gesamte Universum als Mikrokosmos enthalten. Wir können von einem ganzheitlichen Menschenbild sprechen.

Dabei werden verschiedene Lebensbereiche verschiedenen Energiezentren zugeordnet, Chakras genannt. Am gebräuchlichsten ist eine Einteilung in 7 Chakras, die entlang der Wirbelsäule geortet werden. Andere Zählungen gehen von 3 bis 12.

  1. Das Basis-Chakra, am unteren Ende der Wirbelsäule steht für Selbsterhaltung und das Element Erde.
  2. Das Sakral/Sexual-Chakra, ca. drei Finger unter dem Nabel, steht für lustbetonte Sexualität und Lebenskraft und das Element Wasser.
  3. Das Nabel/Solarplexus-Chakra in der Körpermitte steht für Willenskraft und Selbstvertrauen und das Element Feuer.
  4. Das Herz-Chakra über dem Herzbereich steht für Liebe und Mitgefühl und das Element Luft.
  5. Das Kehl-Chakra im Halsbereich steht für Kommunikation und Wahrheit und das Element Äther.
  6. Das Stirn-Chakra auf Höhe des „dritten Auges“ steht für Wahrnehmung und Intuition und das Element Klang.
  7. Das Kronen-Chakra um die Fontanelle steht für Spiritualität und Öffnung zum Universum und das unvorstellbare Element Nondualität.

Die Arbeit mit den Chakras steht für eine ausgeglichene Entwicklung aller Lebensbereiche und wird auch als „Öffnung“ der Chakras bezeichnet. In der Heilungsarbeit bietet die Chakra-Lehre ein Analyseinstrument über den Zustand, und einen Ansatzpunkt für die Behandlung des Klienten. Die Chakras werden mit dem autonomen Nervensystem und jeweils bestimmten Drüsen in Verbindung gebracht.

Allen tantrischen und yogischen Traditionen ist die Vorstellung von feinstoffliche Energieleitbahnen, im Sanskrit Nadi’s genannt gemeinsam, in denen Prana (Lebensenergie) fließt.

Die drei Hauptkanäle heißen Sushumna, Ida und Pingala. Gemäß der Yoga-Lehre verläuft Sushumna in der Mitte der Wirbelsäule und Ida und Pingala rechts und links davon. In den meisten Theorien entspringen sie im Beckenboden und verlaufen spiralförmig rechts und links der Wirbelsäule und kreuzen sich auf der Höhe der Chakras.

Eine Vielzahl von Göttern und Halbgöttern wird in tantrischen Tempeln abgebildet. Zwei davon haben für Tantra eine herausragende Bedeutung: Shiva und Shakti.
Der hinduistische Gott Shiva steht im Tantra für das Männliche und für den reinen Geist. Shakti steht im Hinduismus für die weibliche Urkraft des Universums und im Tantra für das Weibliche und die Energie bzw. Materie. Erst durch die Verbindung von Shiva und Shakti bekommt der Geist eine Realität und die Energie/Materie eine Form.

Durch die tantrische Praxis wird eine ganzheitliche Entwicklung des Menschen gefördert.

  • Yoga und Tanz (für den Körper),
  • Pranayama (Atemübungen für die Seele),
  • Meditation und Mantras (magische Formeln und Gesänge für das Herz),
  • Mudras (Handformen) und Yantras (magische Bilder),
  • Visualisierung (Vorstellung vor dem geistigen Auge für den Geist)
  • ethisches Handelns (für ein soziales Miteinander)
  • Sinnliche Rituale (Höhepunkte zur Bekräftigung der eigenen Ausrichtung und zum energetischem Auftankten)

Durch tantrische Praxis wird der Hauptkanal geöffnet, und eine magische Kraft (Kundalini-Energie genannt) steigt aus ihrer Basis im Beckenboden empor. Dieser Vorgang wird auch als Kundalini-Erfahrung bezeichnet wird.

Im Tantra wird der Körper nicht als Hindernis gesehen, sondern als „Tempel der Seele“.

Den Körper zu kennen, zu erforschen und zu lieben ist spirituelle Praxis. Der Tantrika praktiziert Tantra-Yoga (auch Kundalini-Yoga genannt), um seinen Körper zu ehren und zu pflegen und für die weiteren Übungen fit zu halten. Es ist auch möglich, ganz andere Körperarbeit zu machen z.B. zu Tanzen.

Ziele? Tantra hat keine Ziele (keinen Machtanspruch, keine Welterlösung). Tantra lehrt und unterstützt den einzelnen Mensch in seinem Streben.

Individuelle Ziele sind die Überwindung der Dualität, das Göttliche in sich zu fördern; die „vollständige Verwirklichung“ (um aus dem Rad des Lebens und Sterbens aussteigen zu können), Erwachen, Erleuchtung, Überwindung der Leidhaftigkeit (zentrales Ziel im Buddhistmus), Überwindung des Ego, …

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